Alles ist endlich
Früher war es immer anders vielleicht besser vielleicht sicher sicher besserer
Heute ist das Ist so wie es ist und morgen wird es nochmal anders anders
Gestern hat sich die Wahrheit offenbar besser verstecken können
In den hochgezüchteten Büschen deiner inneren und äußeren Gesellschaft
Nun schenkt sie sich dir wie ein Klarer von selbst ein kein Wunder bei der Ruhe
Auf Du und Du mit ihr und deinen bisher namenlosen Wänden plus Grünzeug
Eingesperrt und streng beobachtet vom wahllosen Vater der dich schützen will
Der auf alle seine Kinder achten muss im Auftrag der vergänglichen Vergangenheit
Gebeugt sitzt nun die verwirrte Jugend auf den musikalischen Balkonen der Freiheit
Wenn ihr denn der Zutritt gewährt wird und grillt die Angst im Gruppenchat
Die riskanten Alten liegen erwartungsfreudig dem sicheren Schicksal entgegen
Und entscheiden von allen am wenigsten sie werden nicht mal fragwürdig gefragt
Der Teich des akuten Lebens scheint auf einmal statistisch flach und viel zu übersichtlich
Alle dümpeln in der Suppe ihrer gestutzten Flügel und gieren nach der kindlichen Zeit
Als das Reich noch verlässlich weit das Ufer unerreichbar und nicht berechenbar war
Doch märchenhafterweise obwohl so getrennt wie noch nie streamt alles zusammen
Im Ausmaß der ausschlagenden Haare auf den ungeschorenen Köpfen des Volkes
Wie freudig läuten die Glocken und es öffnen sich die Tore den Boten des Heiles
Unser tägliches Amazon gib uns heute
#Endlichistallesda
(Veröffentlichung 2020: Frankfurter Bibliothek des zeitgenössischen Gedichts 2020)
herz an herz
neben dir ohne dich
ohne dich in mir
in mir zu viel von mir
außer mir zu viel von dir
ohne mich in dir
in dir viel zu viel
zwar ein ich doch nicht ich
zu zweien doch allein
erst nur zum schein
dann doppelt sogar
(Veröffentlichung 2019: Ausgewählte Werke XXII der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte)
das kleine sehpferdchen
leise schreite ich einen tritt beiseite um mich betreten durch deine augen zu betrachten
wie sie mich jahrelang verachtend beobachteten ohne dabei beachtlich beachtet zu werden
nun begreife ich all die üppigen wucherungen die sich im laufe der zeit über mich stülpten
die du teilweisend und greifartig längst in unerhörte worte geschliffen hattest
welche ich nicht fassen konnte da ich meine fassung bewahren und ungefüllt lassen wollte
deine leinenlosen knallsätze schnappten mit disziplinierter ungerührtheit nach mir
deshalb ging meine letztendlich doch fassungslose antwort wie so oft in kleingeistige deckung
sträubte sich zitternd und ahnungsvoll fauchend wie eine noch nicht nasse katze
krallte sich betäubt ins ratlose parkett und wurde ein fall für die haussegenversicherung
die übrigens konsequent recht zeitig von meinen bonuspunkten abgebucht wird
doch ab heute springe ich entschlossen in die beschäumende wahrheit und
durchflute triefend mit dichter leuchtkraft unsere unerforschten katakomben
wie eine meereswelle die verspielt das leben umspült und glatt schleift
bis es endgültig bei mir verspült hat und wohl erzogen durch den abfluss rutscht
immer und wieder bis ich die mannesprobe mit reflektorsternchen erfüllt haben werde
dann endlich werde ich von dir dieses ersehnte abzeichen überreicht bekommen
das mir beweist diesen kleinen entscheidenden sprung im stolz getan zu haben
und mich bis ins mark durch meine eigenen augen betrachten wollen zu können
ich werde es mir beispiellos an meine durchnässten lendenshorts heften
doch es ist zu spät: jetzt brauche ich mir auch nicht mehr in den Arsch zu treten hast du gesagt
(Veröffentlichung 2018: Ausgewählte Werke XXI der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte)
Eis-Dealer
Mir ist vor dir ein "Ich liebe dich!" heraus gefallen
Du hast es für mich aufgehoben und mir staunend in die Augen geblickt
"Das hast du verloren!", sagtest duIch hab es schweigend zurück in mein Herz gepackt und dich lieber zum Eis essen eingeladen
Mir ist vor dir ein "Ich hasse dich!" heraus gefallen"
Schau mal, was ich gefunden habe!", sagtest du
Dann hast du es eingesteckt und mir nie wieder zurückgegeben
Diesmal warst du mit Eis ausgeben dran
Mir ist vor dir ein "Wir müssen reden!" heraus gefallen
Du bist drauf getreten und hast ihm in die Augen geblickt
"Igitt, das lebt ja noch!", sagtest du
Du hast dir den Schuh abgewischt und deine Träume vergessen
Ich habe es zitternd aufgehoben und in deinen Augen danach gesucht
"Warum hast du das getan?", fragte ich
"Man muss nicht alles aufheben, was schon am Boden liegt!", meintest du
Diesmal hat es nicht mal mehr für ein Eis gereicht
Seitdem schaue ich erst recht ständig nach unten
Vielleicht findet sich ja doch noch was Übersehenes
(Veröffentlichung 2017: Ausgewählte Werke XX der Bibliothek
deutschsprachiger Gedichte)
maronimann
seit ich an dieser ecke stehe schneit es bis in meine seele
gefühle rutschen aus und liegen bald schon halb gefroren
da keiner da die hand zu reichen um sie auf den grill zu legen
aparte gebilde aus gedankeneis und schneeschmerz
kristallisieren sich kunstwerken gleich
auf den straßen verschnupfter seelenstädte
die schlitten kindlicher hoffnung
streifen sie nur beinahe und
belassen es beim gedanken an endlichkeit
könnt ich dir doch eintüten was ich empfinde
und zwar mehr als nur drei verbrannte wörter
(Veröffentlichung 2016: Ausgewählte Werke
XIX der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte)
abrechnung
wir: haben uns verträumt
den zauber losgebunden
und sachlich aufgeschäumt
zwischen den sekunden
weil: zeit hat uns gefressen
und das gefühl zersetzt
sakrales ward vergessen
das andere überschätzt
nie: fanden wir das steuer
und blieben auf der strecke
das einst so teure feuer
erstickt unter der decke
die: wir uns selbst gesponnen
aus spinnweblügensamt
und insolvent zerronnen
das ist schon allerhand
so ist es wohl im leben:
nichts kriegen und viel streben
(Veröffentlichung 2015: Ausgewählte Werke
XVIII der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte)
feuermahl
glück durchzuckert meine adern
mehr noch als vergang’nes wabern
der vermeint’en liebesschar
ein trüber blick erscheint nun klar
nur wenn du mal nicht bei mir bist
zwiefach fremde menschen küsst
mühl’n in meinem magenbad
zweifelsräder jeder art
doch weihst du eine blume mir
pflanzt ein den hoffnungskeim der zier
verwandelt sich mein mühlenrad
in ein liebesfeuer zart
das auch wenns zu erlöschen droht
und nur noch glimmt in kalter not
leicht durch bigottgeweihte blitze
hoch empor schießt traute hitze
ein feuer das so lange brennt
wie’s deine lügen nicht erkennt
bis asche tanzt an seiner statt
weil es mich aufgefressen hat
(Veröffentlichung 2014: Ausgewählte Werke XVII der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte)
schimmer
der gleichmütige mond lugt spitz in den abgelassenen see meines gedankenflusses
in dessen fahlen pfützen sich beharrlich unsere ungelebte liebe reflektiert
einst unsere herzen geduldig umschlingend mit seinen schlanken kurven
bohrt er sich nun chirurgengleich der entfernung trotzend immer näher zum ort des vergnügens
tropfsteine des grames leiern dort die immer wiederkehrende melodie ungeküsster lippen
gerne würde ich diesen quälenden freizeitpark im nachtschrank vergessen
besser noch bodenlos einsperren als blasse erinnerung im regenbogen
den schlüssel kleinfeilen alles unvertrocknete unter dem fenster damit düngen
mit eifrigen Händen eintauchen in den rahm abgestandener bitternis
und es überschütten zum gleichklang des orchesters im hallraum meines herzens
eine neue liebe könnte keimen bohnenrankengleich der sichel entgegen sprießen
von der wir abgeschnitten fielen weil wir verlernten uns im traum zu begegnen
höher in versunkenen sphären mag er sein der ort der keinen telefonanschluss hat
an dem man sich wiederfinden darf um nicht vergebens zu verzeihen
ferner endlich über die alphabetisch archivierten kleinigkeiten lächeln zu dürfen
jede andere himmelsinsel überfüllt sich bereits von all den betrübten geistern
die ungeliebt dem leben entwuchsen und nun fett auf ihren tüchern liegen
jedoch bei uns wo nur unbewölkte seelen ufern herrscht kaum betrieb am strand
wir genießen unvermischt exklusive bedienung servieren uns selbst auf eis
und schlürfen uns leer mit schaumgoldenen strohhalmen
(Veröffentlichung 2013: Ausgewählte Werke XVI der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte)
moratorium
aufgespürt von der unruhe boten flieht alles eitle
entweicht die wärme aus den augen und schickt das nichts ins dasein
verdrängt die poesie des herzschlags doch klärt der seele gruben
angebrannte federreste zeugen vom daunenkissen der gefühle
sie geistern noch immer im windspiel der gedanken
ein wenig schwerfällig und angenüchtert doch nicht vollends sinnentleert
tanzen sie wirbelnd über den letzten psychokohlen
des sterbenden feuers vergangener nächte und träume
verschmelzen sich umarmend in der hitze sich berührender zeiten
verkleistern freundlich der hoffnung weiche lider
die daneben ungesattelt auf einem hinkenden stuhl sitzt
und vor wie zurück denkt über den sinn des seins und meins
denn die zukunft hat meistens nur noch wenig geschmack
wenn der qualm der bestatteten liebe in den gereizten nüstern sitzt
doch wird sie geduldig pusten und schaukeln auf diesen kurzen beinen
so lange bis der große mülleimer des lebens kommt in dem die ewigkeit wartet
(Veröffentlichung 2012: Ausgewählte Werke XV der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte)
pfadfinder
ein kühles loch im zahn der zeit
füllte unsere zwielichtigen vorwürfe
die nun verzettelt an der pinnwand
ihr buntes licht in den stillen flur streuen
dieses farbenspiel findet den direkten weg
durch meinen offenen mund
zur einsamen platte meiner argumente
die sich hohl im schatten deines rückzugs dreht
auf dem boden der tatsachen kauernd
betrachte ich die kahle stelle in der luft
die sich selbstsicher an deinem geruch festkrallt
und mir lächelnd einen wegweiser zuwirft
doch bevor ich der frischen fährte folgen
kann reiche ich mir eine hand von innen
und helfe beim einsteigen in das kleine boot
das mich über den ozean der selbstmitleids bringen soll
(Veröffentlichung 2011: Ausgewählte Werke XIV der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte/ Veröffentlichung 2017: Brentano-Gesellschaft "Frankfurter Bibliothek Jahrbuch 2018")
Treibhaus
Du glühst sehr grell Du Frucht der Liebe
Im Lampion meiner Seelentriebe
Die Blätter rot an Deinen Zweigen
Lassen selbst den Wind verneigen
Der durch Dich bläst und heiß sich kühlt
Da er des Wesens Hitze fühlt
Du schwebst ganz leicht in diesem Reiche
So ohne Wurzeln überm Teiche
Darin die Tränen unserer Herzen
Sich sammelten aus fernen Schmerzen
Du ziehst daraus dir leise Kraft
Aus diesem dunklen, bitt´ren Saft
Doch was wenn eines Tages dann
Der Teich verebbt und ausgedorrt
Und wenn kein Schmerz lässt fließen mehr
Die Tränen hin zu diesem Ort
Wird auch die Frucht vergehen und welken
Weil ihr des Herzens Nahrung fehlt
Wird nie ein Spund sie finden mehr
Und bleibt sie gänzlich ungeschält
Oder schmeckt sie gerade nun
So zuckersüß wie Feen-Winter
Den sie zwar nur vom Namen kennt
Doch der bleibt stets dahinter
(Veröffentlichung 2010: Ausgewählte Werke XIII der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte)
aufruhr suchen die seelen
silbernes windrad krächzt im glanze der nacht
singt ein hauch des windes
netter baum biegt zur erde sich sacht
melodie des stillen kindes
aus weiter ferne braust sturm heran
gespenst gigantisch und groß
unsichtbar schwer filigran
pflückt leer der erden schoß
windrad schreit haus fällt um
baum leis weint kind bleibt stumm
erneut vereint schreie der welt
schießen vorbei baum ist gefällt
um diesige lampen verschwommener schimmer
pulsierend sie verschließt
kometenhaft sich aus gläsernen zimmern
in eiserne lüfte ergießt
füllen der sphäre gebären des raums
schaffen das jetzt und das hier
atmen zerfließt und kreischende ruhe
tobt nun unendlich in mir
(Veröffentlichung 2009: Ausgewählte Werke XII der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte)
schlangenherz
auf trocknem feld in einer furche
da liegt ein brennend herz
es klopft und röchelt vor sich hin
vernattert ist’s am schmerz
da weilt es nun im tal der tränen
und glüht so lichterloh
doch keine träne kommt zum kühlen
der himmel schimmert roh
hört auch nicht auf zu warten
kein weg führt mehr zurück
zerdrückte es doch ganz das leid
was wär’ dies für ein glück
die nässe und der morgentau
sind längst von ihm gewichen
da liegt es nun still heißverklumpt
bis seine tat beglichen
den kelch, den es dir schenkte
das loch in deinem leben
wenn dies nun alles nicht mehr wär’
könn’st du ihm wohl vergeben
(Veröffentlichung 2008: "Ausgewählte Werke XI der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte" und 2013: "Frankfurter Bibliothek" der Brentano-Gesellschaft Frankfurt/ Main)
traumes vase
rose mit sommernachtsdüften steigst aus den lüften
den ewigen hinab zu zeigen die dornen
zu erblühen mit sorgen zu enthüllen die wahrheit
die einzige wahre ergreift dich begreift sich
niemals allein sind die knospen der seelen solange du mein
gehöre ich dir und hege und pfleg dich
bis bald du erstrahlst noch mehr als zuvor
und scheinst unerreichbar und wild
wie ein längst vergessenes bild aus blutstein und marmor
mein traum erfüllt sich einen wunsch der in ihm wühlt
seit dem er lebt der sich erhält dass er dich hält
in seiner leere sei der sinn dass er dich nähre
bis obenhin der nektar fließt und keiner weiß wie du genießt
jetzt ragst du auf vor ihm und brennst so tief heraus
stichst ihn sanft wach dass er erlöst von seiner schmach
die last zu spiegeln tag zur nacht und nacht am tag
bleib ihm treu du erden rot und unsere lieb besiegt den tod
mit freuden teilen wir die macht und alles böse sei um seinen glanz gebracht
(Veröffentlichung 2007: Ausgewählte Werke X der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte)
Insomnia
Mein fluchend Herz, es ist entfacht
Und brennt so lichterloh
Die Flammen steigen steil empor
Doch meine Seele lacht
Sie hofft auf Dich, auf Dein Gefühl
Du Größte aller Feen
Drum lösche und befreie uns
Lass es doch bald geschehen
Dein Schweigen mich so rasend macht
Vergrabe mich in Dir
Und weiß doch nicht, was Du nun machst
Wo bist Du, komm zu mir
Die Ewigkeit, sie schenk ich Dir
Traust Du mir denn nicht
Nichts auf der Welt mir heilig ist
Vereinst Du Dich mit mir
Vertraue mir, ich schwör Dir nichts
Was ich nicht halten kann
Und soll dies eine Lüge sein
So nagle mich daran
Noch nie empfand ich dieses Leid
Den zuckersüßen Schmerz
Dies Brennen und den Wunsch allein
Von Dir erfüllt zu sein
(Veröffentlichung 2006: Ausgewählte Werke IX der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte)
Die Rechte aller geschriebenen Texte (mit Ausnahme des Impressums) auf dieser Homepage liegen alleine beim Autoren Marco Steeger. Jegliche weitere Veröffentlichungen als die bereits angegebenen und Aneignungen benötigen meine ausdrückliche Zustimmung. Für privat und künstlerische Zwecke können die nicht von einem Verlag verlegten Texte gerne auf Anfrage und Absprache verwendet werden.
|
|